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30 Jahre Samtene Revolution in der Tschechoslowakei – Eine gewaltlose Revolution

AREAaczZeitgeschichte

Als Samtene Revolution bezeichnet man den Zeitraum gegen Ende des Jahres 1989 (17. November – 29. Dezember) in der Tschechoslowakei. Für unseren damaligen Staat bedeutete es umfassende Änderungen der politischen Lage, welche schließlich zum Fall des kommunistischen Regimes führten. Der Samtenen Revolution ging in den 1980er Jahren ein schrittweiser Zerfall des ehemaligen Ostblocks voraus. Die BürgerInnen im Osteuropa äußerten in dieser Zeit zunehmende Unzufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Situation ihrer Länder.

Historische Ereignisse

Den Novemberereignissen in der Tschechoslowakei gingen mehrere Demonstrationen gegen das kommunistische Regime voran, bei denen es auch zu Polizeiübergriffen, Verhaftungen und Verfolgungen gekommen war (im Jänner fanden einige Bürgerunruhen anlässlich des 20. Todestages des Studenten Jan Palach auf dem Wenzelsplatz in Prag, die sogenannte Palach-Woche, dann am 21. August, dem 20. Jahrestag der Okkupation der Tschechoslowakei, oder am 28. Oktober, dem 70. Jahrestag der der tschechoslowakischen Unabhängigkeitserklärung statt).

Die Revolution in der Tschechoslowakei wird als Samtene Revolution bezeichnet, weil sie friedlich verlief und das kommunistische Regime ohne Gewalt zum Fall gebracht wurde. Trotzdem vollzog sich ein grundlegender Wandel in der gesamten Gesellschaft, der nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft, internationale Beziehungen und das tägliche Leben der BürgerInnen betraf.


Die Samtene Revolution begann am 17. November 1989. Der Zentralausschuss der KPTsch genehmigte eine Versammlung zum Gedenken an die Schließung der tschechischen Hochschulen durch die Nazis 50 Jahre davor im Jahr 1939, bei der auch an den Studenten Jan Opletal erinnert werden sollte. In Prager Albertov trafen sich an diesem Nachmittag ca. 15.000 Studierende der Prager Hochschulen und marschierten in Richtung Vyšehrad. Nach der Beendigung der offiziellen Demonstration begab sich ein Teil ungeplant noch ins Stadtzentrum und wollte auf den Wenzelsplatz gelangen. In der Národní třída sperrten die Polizisten den Studierenden den Weg ab. Friedlich protestierend und „Wir haben leere Hände“ rufend, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer brutal verprügelt und auseinandergejagt. Einige wurden verhaftet.

Die Gewalt gegen die Studierenden rief weitere Demonstrationen hervor. Am 18. November fand der Proteststreik der StudentInnen der Karlsuniversität und der Theaterfakultät der Akademie der musischen Künste (DAMU) statt, dem sich auch viele SchauspielerInnen und ganze Theater angeschlossen haben.  Vom 18. bis 19. November wurde das Bürgerforum (Občanské fórum, OF) gegründet. Es war eine von Václav Havel angeführte Plattform, welcher Dissidenten, Künstler und Studenten angehörten. Für den 27. November rief das Bürgerform einen Generalstreik aus – gefordert wurde der Rücktritt der kommunistischen Funktionäre, eine Garantie der Bürgerrechte und -freiheiten und die Bestrafung jener Polizisten, die Schuld an der Polizeigewalt vom 17. November waren. Vom 20. November an wurden nicht nur in Prag, sondern auch in vielen anderen Städten im ganzen Land jeden Tag Massendemonstrationen abgehalten (zum Symbol wurde das Läuten mit dem Schlüsselbund). Ab 21. November verhandelte das Bürgerforum mit der Regierung. Am 29. November hob die Regierung die Verfassungsartikel Nr. 4, 6 und 16 auf, welche die führende Rolle der kommunistischen Partei in der Gesellschaft begründeten. Am 7. Dezember trat die föderale Regierung mit dem Premierminister Ladislav Adamec zurück. Am 28. Dezember wurde Alexander Dubček neuer Vorsitzender der Föderalversammlung. Am 29. Dezember wurde Václav Havel zum neuen Präsidenten gewählt. An Havels Botschaft „Wahrheit und Liebe müssen über Lügen und Hass siegen!“ erinnern wir uns auch heute immer wieder.


Die Änderungen in der Tschechoslowakei waren allumfassend und in ihrem Wesen sehr unterschiedlich. Im Zuge der politischen Änderungen kam es zur Auflösung der Staatssicherheit und zur Freilassung der politischen Gefangenen. Neue Parteien wurden gegründet und die Grenzen zum Westen öffneten sich. Die verfolgten BürgerInnen wurden rehabilitiert und die Grundrechte gesichert. Im Juni 1990 fanden nach 44 Jahren wieder freie Wahlen statt.

Im wirtschaftlichen Bereich musste die Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft transformiert werden. Privatpersonen konnten Unternehmen gründen, das konfiszierte Vermögen wurde zurückgegeben und eine Kuponprivatisierung (Überführung des staatlichen ins private Eigentum) durchgeführt.

Auch in der Sphäre der internationalen Beziehungen vollzog sich im Laufe der folgenden Jahre ein großer Wandel. Ende 1992 löste sich die Tschechische und Slowakische Föderative Republik auf und am 1.1. 1993 konstituierten sich die Tschechische Republik und die Slowakische Republik als zwei eigenständige Staaten. 1999 wurde die Tschechische Republik Mitglied in der NATO, 2004 trat sie der Europäischen Union bei. 

Ebenso das tägliche Leben änderte sich in vielerlei Hinsicht – die Schlangen auf Konsumwaren täglichen Bedarfs verschwanden, die Menschen konnten plötzlich auch im Ausland arbeiten, sich zu jeder beliebigen Religion bekennen, die Zensur wurde beseitigt, das Lebensniveau verbesserte sich, man konnte die Schule seiner Wahl besuchen und die Marxismus- und Leninismus-Ideologie wurde vom Unterrichtsplan der Schulen gestrichen. 


Jahrestag der Samtenen Revolution und 30 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhanges

Im Gedenkjahr 2019 wird an die Samtene Revolution und den Fall des Eisernen Vorhangs vor 30 Jahren erinnert und in vielen Städten und Museen finden anlässlich dieses wichtigen Jubiläums interessante Veranstaltungen statt.

České Budějovice bereitet den 11. Jahrgang des Multi-Genres-Festivals  Budějovický Manifest – Festival Svobody (nur Tschechisch) (Budweiser Manifest – Festival der Freiheit) vor,  welches vom 14. – 17. November anlässlich des Tages des Kampfes für Freiheit und Demokratie und des Internationalen Studententages veranstaltet wird.  

Im Südböhmischen Museum in České Budějovice kann man die Ausstellung Svatá Anežka Česká a obraz její úcty v jižních Čechách (nur Tschechisch) (Die Heilige Agnes von Böhmen und Ausdruck ihrer Verehrung in Südböhmen) besuchen, zusammengestellt aus Anlass des 30. Jahrestags der Heiligsprechung von Agnes von Böhmen sowie der Samtenen Revolution. Die Heilige Agnes diente schon Zeit ihres Lebens als Vorbild christlichen Glaubens und Liebe und auch lange Jahrhunderte nach ihrem Tod wurde sie als Heilige verehrt. Kanonisiert wurde sie jedoch erst im November 1989 und so bleibt sie für immer als Symbol der lang ersehnten Freiheit mit der Samtenen Revolution verbunden.

Wie die Menschen in Südböhmen den November 1989 erlebten, zeigt zum Beispiel Jindřichohradecký festival svobody (nur Tschechisch) (Freiheitsfestival in Jindřichův Hradec) – ein Zyklus von Ausstellungen, Diskussionen, thematischen Lehrgängen und Konzerten, welcher am 1. November in Jindřichův Hradec eröffnet wird.

Andere Ausstellungen, die sich auf die Samtene Revolution und Südböhmen beziehen, veranstaltet zum Beispiel das Hussitenmuseum in Tábor (Rok 1989 v Táboře a další devítková výročí (nur Tschechisch)  (Das Jahr 1989 in Tábor und andere Neuner-Gedenkjahre), Soběslav 1989 (nur Tschechisch)), das Stadtmuseum und Galerie Dačice (Listopad 1989 v Dačicích (nur Tschechisch)) (November 1989 in Dačice) oder das Stadtmuseum und Galerie Vodňany (Sametové Vodňany (nur Tschechisch)(Samtenes Vodňany)).

Der Kreis Vysočina erinnert an den runden Jahrestag der Samtenen Revolution mit interessanten Veranstaltungen wie Svobodná třicítk (nur Tschechisch)(Der Freie Dreißiger) oder Zeď svobody (Freiheitsmauer).

Das Museum Vysočina in Havlíčkův Brod veranstaltet zum 30. Jahrestag der Samtenen Revolution eine konference (nur Tschechisch) (Konferenz), welche am 16. November im Saal des Alten Rathauses stattfindet. Die Konferenz steht einem breiten Publikum offen, mit dem Ziel, sich sowohl an die nicht so alte Vergangenheit zu erinnern, die allmählich zur Geschichte wird, als auch unterschiedliche Blickwinkel auf das Geschehen vor dreißig Jahren anzubieten.  

Das Angebot weiterer Veranstaltungen in Vysočina finden Sie hier (nur Tschechisch).

Die südmährischen Städte planen für das heurige Gedenkjahr 30 Jahre Samtene Revolution verschiedene Veranstaltungen, zum Beispiel Erinnerungsakte, Ausstellungen, Konzerte, Sondermünzen und die John Lennon’s Freiheitsmauer, auf welche Menschen ihre Botschaften aufschreiben können.

In Znojmo kann man vom 4. bis 9. November anlässlich des Jahrestages der Samtenen Revolution ein einzigartiges multimediales Bildungsprojekt TOTALITA Multimediální průvodce 1948 – 1989 (nur Tschechisch)(TOTALITÄT Multimedialer Wegweiser 1948 – 1989) besichtigen. Dieses Projekt konnten die Besucher im heurigen Herbst schon in České Budějovice, Brno und Plzeň erleben. Außerdem bereitet die Stadt für den 15. November koncert písničkářů (nur Tschechisch) (Konzert der Liedermacher) in sonst der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Räumlichkeiten des Klosters Louka vor, einen Tag später dann die Noc divadel (nur Tschechisch)(Lange Nach der Theater) und am 17. November den Tag der offenen Rathaustür. Mehr Informationen zu der letztgenannten Veranstaltung und ein Angebot einiger weiterer finden Sie hier (nur Tschechisch).

Das Südmährische Museum in Znojmo organisiert im November die Ausstellung 17. listopad 1989 ve Znojmě (17. November in Znojmo (nur Englisch)). Die Ausstellung zeigt die bisher nicht veröffentlichten Fotos zu den Ereignissen der Samtenen Revolution in Znojmo.

Weitere Veranstaltungen des Südmährischen Kreises finden Sie hier (nur Tschechisch).

Mikulov organisiert zum Jahrestag des Novembers 1989 die Veranstaltung Sametový Mikulov (nur Tschechisch) (Samtenes Mikulov) – Diskussion mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Konzerte, eine lebendige „samtene“ Bibliothek, Filme, die Ausstellung "Freiheitslichter/Sehnsucht nach Freiheit" oder das Bildungsprogramm „Samt ohne Verpackung“.

 

Autor: Marek Svoboda
Übersetzung: Amulett